Enttäuschungen unter Jelzin 1991-1999
Angesichts des fortschreitenden Zerfalls des
sowjetischen Vielvölkerstaates und der zunehmenden Machtlosigkeit der
politischen und legislativen Institutionen auf Unionsebene richteten sich die
Hoffnungen der deutschen Aktivisten verstärkt auf die russländische Führung
unter dem charismatischen Vorkämpfer für politische und marktwirtschaftliche
Reformen, Boris Jelzin. Leider konnte auch die russländische Staatsführung,
ähnlich wie zuvor die Unionsregierung, sich nicht zu einer rechtsstaatlichen
Losung des deutschen Problems durchringen, obwohl es an vollmundigen
Bekundungen der Solidarität nicht mangelte. Andersherum versuchte man die
Aufmerksamkeit von der Wolga auf zwei nationale, deutsche Landkreise in
Sibirien zu lenken: im Juli 1991 erfolgte die Gründung des Rayons „Halbstadt“
im Bestand der Region Altaj und im Februar 1992 „Asowo” in der Nähe von Omsk.
Diese ländlichen Territorien mit je 1.400 qkm Fläche erfuhren zunächst als
gepriesene „Insel der Hoffnung“ von der der bundesdeutschen Seite vielfaltige
Unterstützung. Hunderte von Millionen DM wurden in den Jahren 1992-1999 für die
Errichtung von Schlachthöfen, Käsereien und für Objekte der sozialen
Infrastruktur ohne einen nennenswerten Effekt – im Sinne einer Ermunterung der
deutschen Bevölkerung zum Verbleib in Russland – ausgegeben. O Reportage über
eine antideutsche Kundgebung am 27. Januar 1990 im Rayon Sowetski, Gebiet
Saratow (ehemals Kanton Mariental, Wolgadeutsche Republik) im Lokalblatt Sarja
(„Morgenröte“).b die beiden administrativen Rayons mit der erdruckenden
Dominanz des landwirtschaftlichen Sektors und den fehlenden politischen
Interessenvertretungen, mit kaum wahrnehmbaren sozioökonomischen
Gestaltungsmöglichkeiten und einer archaisch wirkenden Folklorisierung des
kulturellen Lebens eine wirkliche Zukunftsperspektive für die bereits
mehrheitlich in Städten lebenden Russlanddeutschen aufweisen konnten, darf
getrost bezweifelt werden. Auch die ländliche Bevölkerung sah für sich keine
tragfähige Perspektive: bis Ende 1998 wanderte allein aus dem Rayon „Halbstadt”
80 Prozent der angestammten deutschen Bevölkerung aus. Diese sibirischen
Landkreise fungieren nun in erster Linie als Auffangbecken für Flüchtlinge und
Migranten aus dem benachbarten Kasachstan.
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