понедельник, 20 апреля 2015 г.

Ameisen

Ameisen: der Staat ist alles
Ameisen betreiben Ackerbau und Viehzucht, sie führen Kriege und organisieren riesige Staaten. Nur langsam entschlüsseln Forscher ihre Geheimnisse.


Wer sagt denn, dass im Süden nichts funktioniert? Von Italien bis Portugal erstreckt sich über rund 6.000 Kilometer ein wohlgeordneter Staat; die Bewohner seiner miteinander verbundenen Metropolen sind nur wenige Millimeter groß, haben unzählige Kinder und schreien sich nie an. Dass die EU mit diesem Modell grenzüberschreitender Zusammenarbeit keine Werbung macht, liegt vielleicht daran, dass da keine Europäer wohnen: Es sind argentinische Ameisen, die wohl um l920 per Schiff eingewandert sind. Laurent Keller von der Universität Lausanne hat vor zehn Jahren an der Mittelmeerküste die größte bislang bekannte Ameisenkolonie gefunden. Er vermutet, dass dieser Superstaat irgendwann auseinanderbrechen wird, weil die genetische Verwandtschaft der einzelnen Volksteile mit der Zeit abnimmt. Im Moment sei aber von Streiks oder Schuldenkrisen nichts zu sehen: „Auf einer sehr großen Fläche mit Abermilliarden Individuen gibt es überhaupt keine Aggressivität.“ Statt sich zu bekämpfen, pflegen die kleinen Sechsbeiner lieber ihre Brut. Ameisenforscher sind zu beneiden! Schon wegen der ungeheuren Auswahl an Studienobjekten: über 12.500 Ameisenarten sind bekannt. Schätzungsweise 8.000 weitere sind noch zu entdecken. Wer mitsuchen will: Von anderen Hautflüglern, etwa Wespen oder Bienen, unterscheiden sich Ameisen durch das so genannte Stielchen, einer kleinen Ausbuchtung zwischen Vorder- und Hinterleib, sowie durch eine Drüse, die Antibiotika produziert. Wie Menschen schlagen sich Ameisen überall auf der Welt durch. Manche Arten bauen meterhohe Wohntürme, andere Völker haben in einer einzigen Eichel Platz. Wüstenameisen finden zum Eingang ihres Nests zurück, weil sie ihre Schritte zählen können. Nicht nur in Sibirien bilden Ameisen ein körpereigenes Frostschutzmittel. Auf Borneo gibt es sogar eine Art, die schwimmen und tauchen kann, nämlich ausgerechnet in der Flüssigkeit der fleischfressenden Kannenpflanze. Wenn Ameisen ihren Lebensraum nicht mögen, krempeln sie ihn um: Die Hügel der Roten Waldameise sind Sonnenkollektoren, die Wärmestrahlen auch der tiefstehenden Sonne einfangen; die Brut steckt perfekt klimatisiert bis zu zwei Meter tief im Boden. Wenn man bei uns im Wald alle Organismen einsammeln würde, wären drei Viertel der gesamten Biomasse Ameisen. Diesen erstaunlichen Evolutionserfolg erklärt der  Würzburger Myrmekologe Bert Hölldobler mit der „eusozialen“ Lebensweise der Ameisen: Ein ganzes Volk, das vor allem durch einen bestimmten Nestgeruch zusammengehalten wird, handelt wie ein einziger „Superorganismus“. Die einzelnen Insekten sind dabei auf bestimmte Aufgaben spezialisiert: Die einen sind Babysitter, die anderen Bauarbeiterinnen oder Pförtnerinnen; Melkerinnen holen Honigtau von Blattläusen, die als Hausvieh gehalten werden; andere wiederum versprühen Pestizide in der staatseigenen Pilzzucht. Die Verständigung erfolgt wahrscheinlich über Duftstoffe, so genau weiß man das allerdings noch nicht. In Monarchien und Diktaturen werden Ameisen gerne den Untertanen als Vorbild hingestellt. Sind die Tierchen, die bis zum 100fachen ihres eigenen Gewichts schleppen können, nicht ungeheuer emsig? Selbstlos verzichten sie auf ihr persönliches Wohl – der Staat ist alles! Schlaglöcher in der Ameisenstraße stopfen sie notfalls mit ihrem eigenen Körper. Wenn ihre Brut angegriffen wird, spritzen die tapferen Winzlinge Säure und verjagen selbst Braunbären. Arten, die wie die Rote Waldameise nur eine Königin pro Volk haben, führen im Frühjahr regelrechte Territorialkriege: Mehrere Tage lang greifen sich Armeen auf breiter Front an; die Soldatinnen beißen den Feinden Beine und Fühler ob oder strecken sie zu Tode. Wohl nicht allen Anhängern tierischer Staatsformen ist bewusst, dass Ameisenhügel meist basisdemokratische Frauen-Wohngemeinschaften sind, in denen die Mehrheit bestimmt, was zu tun ist. Die „Königin“ ist bei vielen Arten nur eine Eierlegemaschine, die bei Bedarf hierhin oder dorthin geschleppt wird. Die Männchen werden bloß für die Begattung gebraucht und gehen gleich nach dem Hochzeitsflug ein. Königinnen können dagegen sehr alt werden – der in einem Schweizer Labor erreichte Rekord liegt bei knapp 29 Jahren. Wie schaffen die das? Die Forscher stochern noch im Dunkeln, denn Königinnen haben das gleiche Erbgut wie Arbeiterinnen, die meist schon nach zwei bis drei Jahren sterben. Mit Fleiß und Harmonie ist es bei den Ameisen auch so eine Sache. Ein Drittel der rund 150 in Mitteleuropa heimischen Arten sind üble Sozialschmarotzer: Sie überfallen fremde Kolonien und versklaven sie. Amazonasameisen sind so auf Raub und Kampf spezialisiert, dass sie nicht einmal selbst fressen können, sondern sich von Sklaven füttern lassen müssen. Susanne Foitzik von der Universität Mainz hat jedoch entdeckt, dass die Verlierer durchaus Widerstand leisten und viel weniger Kinder großziehen, als sie es in ihrem eigenen Nest tun würden –  bis zu 60 Prozent der Sklavenhalterbrut bringen sie einfach um. In Ökosystemen spielen Ameisen oft eine Schlüsselrolle. Eine Kolonie Gelber Wiesenameisen zum Beispiel wälzt
pro Jahr und Hektar bis zu sieben Tonnen Erde um, mehr als Regenwürmer. Waldameisen stehen schon seit 200 Jahren unter Schutz, weil sie nicht nur den Boden lockern und seine Wasseraufnahme verbessern, sondern auch Aas entsorgen und Unmengen Insekten vertilgen. Schneeglöckchen, Schöllkraut und über 130 weitere Pflanzenarten in Europa sind darauf angewiesen, dass Ameisen ihre Samen verbreiten. Moorameisen und andere hoch spezialisierte Arten sind vom Aussterben bedroht, weil der Mensch ihre Lebensräume zerstört. Überdüngung, das Abholzen von Altbäumen oder die Beseitigung von Hecken stört jedoch nicht alle Ameisen: Forscher des Naturkundemuseums Karlsruhe haben herausgefunden, dass zwar die  Vielfalt drastisch zurückgeht – dafür vermehren sich aber anpassungsfähige Arten, wie zum Beispiel die Argentinische, umso stärker. Wissenschaftler schätzen, dass alle Ameisen der Welt zusammen ungefähr gleich viel wiegen wie die Menschheit. Wer besser organisiert ist und länger auf der Erde überlebt, wird sich wohl noch zeigen.

Комментариев нет: