суббота, 22 ноября 2014 г.

Russlanddeutsche

DER RUSSLANDDEUTSCHEN IM ZWANGSARBEITSLAGER

  Am 10. Januar und 14. Februar 1942 verfügte das Staatliche Verteidigungskomitee (Gosudarstvennyj Komitet Oborony – GKO) mit Stalin an der Spitze über die Aushebung der deutschen Männer im wehrpflichtigen Alter von 17 bis 50 Jahren für den Einsatz in der Industrie. Da das Stalinregime offensichtlich am verminderten Rechtsstatus dieser Minderheit festhalten wollte, kam die übliche Einberufung in die Baubataillons oder Bautrupps nicht in Frage. Zum anderen waren sich die zuständigen Stellen im klaren, dass es einfach unmöglich wäre, kurzfristig alle erwachsenen Russlanddeutschen gerichtlich abzuurteilen, um sie dann ins Straflager zu überführen und als Häftlinge auszubeuten. Deshalb bediente man sich eines raffinierten Tricks: auf Anraten des NKVD entstand eine neue GULag-Kategorie: «trudmobilizovannyj nemec – arbeitsmobilisierter Deutscher», eine Zwitterkonstruktion aus einem rekrutierten Bauarbeiter und einem Strafgefangenen, wobei diese Zwangsarbeiter in der GULag-Statistik keine Erwähnung fanden. Eine Besonderheit dieser Aushebung war ihr umfassender Charakter: neben den einfachen Arbeitern und Bauern fand sich in den Arbeitslagern die ganze intellektuelle und Funktionärsschicht der Russlanddeutschen wieder: Deputierte des Obersten Sowjets der UdSSR bzw. der Unions- und autonomen
Republiken, Minister und Regierungsbeamte, Partei-, Wirtschafts- und Sowjetkader aus der Wolgadeutschen Republik, Professoren und Dozenten, Schriftsteller und Ärzte, Lehrer und Ingenieure, Offiziere und Richter. Nach unvollständigen Angaben wurden im Laufe des Krieges auf die dem NKVD unterstellten Bauobjekte und Lager um die 182.000 deutsche Zwangsarbeiter eingewiesen. Am 7. Oktober 1942 ordnete das GKO eine zusätzliche Mobilisierung der deutschen Jugendlichen und Männer im Alter von 15 bis 16 und 51 bis 55 Jahren sowie der deutschen Frauen im Alter von 16 bis 45 Jahren für die gesamte Dauer des Krieges an. Im Laufe von nur wenigen Wochen hat man 123.552 Personen, darunter 52.742 Frauen zusammengetrieben; weitere Mobilisierungen folgten in den darauffolgenden Monaten und Jahren, wenn auch, angesichts der Erschöpfung des menschlichen Potentials, in geringerem Umfang. Obwohl für alle Nationalitäten der UdSSR die bestehende Arbeitspflicht im Laufe des Krieges wesentlich verschärft wurde, durften die Sowjetbürger in der Regel eine Beschäftigung vor Ort annehmen. Deutsche Mütter, verheiratete Frauen, ältere Menschen und die sich im Schulalter befindenden Jugendlichen jedoch erfuhren eine massenhafte Aushebung und Verschickung in Hunderte und Tausende Kilometer entfernt liegende Ortschaften, wo sie zum Arbeiten dienstverpflichtet wurden. Die Verzweiflung und Erbitterung war um so größer, da die russischen, kasachischen oder andersethnischen Familien in der Regel von derartigen Rekrutierungen verschont blieben. Diese Zwangsarbeiter ließ man diesmal unter verschiedenen Industriebranchen verteilen: zum 1. Januar 1944 waren im Volkskommissariat für Kohleförderung 56.551 Deutsche eingesetzt, für Erdölförderung 30.250, für Munition 8.021 usw. Neben der militarisierten Bewachung spielte bei der Unterdrückung der
mobilisierten Deutschen vor allem die sowjetische Geheimpolizei eine wichtige Rolle. Vertreter der Staatssicherheit im Einsatzort war die berüchtigte «Operativ-tschekistische Abteilung» (Operativno-Čekistskij Otdel – OČO). Die OČO agierte weitgehend autonom und unterstanden territorial den Gebietsverwaltungen des NKVD und der operativen Verwaltung der GULag-Zentrale. Eine massive Welle von Repressionen erfasste die Russlanddeutschen: bis zum Juli 1944 wurden 8.543 Zwangsarbeiter aufgrund von Fluchtversuchen, angeblichen Sabotageakten und konterrevolutionärer Arbeit, aufgrund von Selbstverstümmelungen und «absichtlicher» Abmagerung (!) verhaftet und davon wurden 6.392 zu langjähriger Haft im Straflager und 526 zum Tode verurteilt. In den meisten Fällen wurde die Bestrafung durch das Sonderkollegium (Osoboe Soveščanie – OSO) beim Volkskommissar des Innern der UdSSR unter Umgehung der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit vorgenommen. Die Terrorisierung der Zwangsarbeiter diente mehreren Zielen: Zum einen war dies ein wichtiges Mittel zur Einschüchterung und Gefügigmachung vor allem der Intellektuellen, der Fachleute, der ehemaligen Funktionäre bzw. Wirtschaftsleiter, denn die Beseitigung der nationalen Elite degradierte die Deutschen zu einer willenlosen Verfügungsmasse. Zum anderen musste die Zahl der Verurteilten bzw. der aufgedeckten «konterrevolutionären» Organisationen unter den Deutschen die Existenzberechtigung eines jeden einzelnen Tschekisten sichern und ihn vor der Frontversetzung bewahren. Und, nicht zuletzt, sollten die Geheimpolizisten glaubwürdige Beweise der «verräterischen und verbrecherischen» Tätigkeit der Deutschen liefern, um ihre Entrechtung im nachhinein zu untermauern. Eines der spektakulärsten unter den Hunderten politischen Verfahren gegen die deutschen Zwangsarbeiter während der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre war zweifellos der geheime Prozess gegen prominente Staats-, Partei- und Wirtschaftsfunktionäre der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) in den Jahren 1944 – 46. Seit der Liquidierung der autonomen Republik war das Bestreben der Geheimpolizisten ersichtlich, sämtliches belastendes Material gegen die ehemalige Führungsschicht der Wolgadeutschen zu sammeln. Sie sollte diskreditiert und nach Möglichkeit strafrechtlich belangt werden, um dem Stalinregime nachträgliche Rechtfertigung für die Auflösung der ASSRdWD und die repressiven Maßnahmen gegen eigene Bürger deutscher Herkunft zu liefern. In diesen geheimen Strafprozess wurden mehrere Dutzend Personen aus den Lagern im Gebiet Sverdlovsk (Bogoslovlag, Ivdel’lag) und in der Region Krasnojarsk (Kraslag) verwickelt. Wie die Nachermittlungen aus der Chruščev-Zeit ergaben, kamen diese und andere Gruppenstrafsachen nur durch grobe Verletzungen der sogar damals geltenden Gesetze zustande. Alle darin involvierten Personen wurden dann größtenteils postmortal rehabilitiert. Die Situation, in der sich die deutsche Volksgruppe infolge der erhobenen Verratsvorwürfe, der Deportationen, des Konfiszierens der Vermögen und der Zerstreuung auf dem Riesenterritorium Sibiriens und Kasachstans befand, machte es einfach unmöglich, ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen, zumal sie durch den Krieg mit Deutschland und der grassierenden antideutschen Propaganda keine Unterstützung seitens anderer sowjetischer Völker oder aus dem Ausland erwarten konnten. Der Großteil der Russlanddeutschen
glaubte an einen verhängnisvollen Irrtum und dachte nicht im geringsten daran, irgend eine Auflehnung gegen die Staatsmacht zu leisten. Auch die Einweisung ins Arbeitslager rief keinen wirkungsvollen Protest hervor. Die uns bekannten Fälle widerständigen Verhaltens waren vor allem Ausdruck persönlicher Überlebensstrategien: Flucht, Selbstverstümmelung, Krankmeldung... Die sichtbarste Form des individuellen Widerstands in all den Jahren der Einweisung ins Arbeitslager war die Flucht. Ein Zwangsarbeiter suchte diesen Ausweg sowohl aus Protest gegen den erniedrigenden Status eines mobilisierten Deutschen, als auch wegen der unerträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen am Einsatzort. Eine nicht zu unterschätzende Motivation war zusätzlich die drückende Sorge um den Gesundheitszustand oder sogar um das Überleben der zurückgebliebenen Angehörigen. Die Lager- bzw. Betriebsverwaltung ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, um eine deutliche Reduktion der Fluchtversuche zu bewirken. Zum einen entzog man den eingetroffenen Deutschen alle Personaldokumente wie Pässe, Militärausweise und Bescheinigungen jeglicher Art. Reguläre Durchsuchungen der Baracken auf verbotene Gegenstände hin – Stech- und Schneidwerkzeuge, Taschen- und Rasiermesser, Kompasse, Uhren, Karten, sogar saubere Kleidung – sollten die Fluchtgefahr minimieren. Ein dichtes Netz von angeworbenen Zuträgern unter den Mobilisierten gaben der Staatspolizei die Möglichkeit, geplante Ausbrüche im
Keim zu ersticken. Die ortsansässige Bevölkerung, durch massive Greuelpropaganda und Verlust der Angehörigen in den kämpfenden Einheiten ohnehin erbittert, wurde vor Kontakten mit den Deutschen gewarnt und zur Anzeige der entlaufenen Deutschen bzw. Mithilfe bei ihrer Verfolgung aufgerufen. In den umliegenden Dörfern und Eisenbahnstationen entstanden Hilfsgruppen, die sich aktiv an Fahndungen beteiligten. Nach Archivdokumenten und Erinnerungen von Zeitzeugen zu beurteilen, fanden kollektive Unmutsbekundungen verhältnismäßig selten statt. Das ging im wesentlichen auf Vereinsamung und Entsolidarisierung der Zwangsarbeiter zurück, deren Behauptungswille zusätzlich durch das Vorhandensein zahlreicher geheimer Informanten und der abschreckend wirkenden Härte einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung gelähmt wurde. Wenn es dennoch zu solchen Unmutsbekundungen kam, dann handelte es sich vor allem um spontane Aktionen, um gruppenspezifische Reaktionen auf einen besonders eklatant empfundenen Verstoß bzw. eine Verletzung ihrer bescheidenen Rechte. Als typischer Vorfall kann das Geschehen in der Kantine des Kohlentrust «Čeljabugol»n der Stadt Čeljabinsk Anfang 1943 betrachtet werden: ein Arbeitsmobilisierter versuchte mit gefälschten Lebensmittelkarten eine zusätzliche Mahlzeit zu bekommen. Von den diensthabenden Mitarbeitern des Betrugs überführt, rief er um Unterstützung und erhielt spontane Solidaritätsbekundungen von den etwa 100 anwesenden Deutschen. Neben der scharfen Kritik an der Kantinenleitung, in der sich die lange angestaute Unzufriedenheit mit den mageren Portionen äußerte, wollten die Tschekisten «antisowjetische Aufrufe gegen die bestehende Ordnung und die Maßnahmen der Sowjetregierung und ihrer Führer» vernommen haben. Drei aktive Teilnehmer dieses Aufbegehrens – im NKVD-Jargon «volynka» genannt – wurden verhaftet und nach Art. 58, Abs. 10 (Aufforderung zum Sturz der Sowjetherrschaft) und Art. 59, Abs. 2 (Massenunruhen) des Strafgesetzbuches der
Russischen Föderation belangt. Neben der am weitverbreitesten individuellen bzw. gruppenspezifischen Resistenz und Auflehnung trat bisweilen auch ein durchaus ideologisch begründeter Protest in Erscheinung. Dieser formierte sich in erster Linie in den national abgesonderten deutschen Parteiorganisationen in den Arbeitslagern und richtete sich sowohl auf die Änderung der politischen und arbeitsrechtlichen Stellung der Zwangsarbeiter als auch auf die Verbesserung der miserablen Arbeits- bzw. Lebensbedingungen in den Einsatzorten. Angetrieben durch die bittere Enttäuschung, die die stalinistischen Parteikader und Sympathisanten des bolschewistischen Regimes unter den Russlanddeutschen nach den pauschalen Verratsbeschuldigungen, der Deportation und ausnahmsloser Rekrutierung in die Zwangsarbeitslager erlitten haben, forderten einige von ihnen die Einhaltung der «leninschen-stalinschen Nationalitätenpolitik». Nicht selten bildete diese Kritik den Tatbestand der antisowjetischen Agitation und Propaganda und diente als Anlass zum Eingreifen der Staatssicherheitsorgane. Die Nachkriegsgeschichte der deutschen Minderheit wurde entscheidend durch den gnadenlosen Einsatz in der Trudarmija geprägt. Die Konzentration auf den Baustellen und in den Industriebetrieben zog einen gewaltigen Urbanisierungsschub nach sich; fortan entstand in der vornehmlich landwirtschaftlich geprägten Ethnie eine verhältnismäßig große Gruppe von Arbeitern und technischer Intelligenz. Die langjährige Trennung der deutschen Frauen und Männer in einer andersethnischen Umgebung führte zu einer starken Zunahme von Mischehen, was eng mit zunehmenden Akkulturations- und Assimilationsprozessen verbunden war. Die Weigerung des Sowjetstaates, die vollständige Rehabilitation der «sowjetischen Bürger deutscher Nationalität» zu gewährleisten, wirkte sich lähmend auf die Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Leben aus. Die Verbitterung über fortlaufende Diskriminierung äußerte sich sowohl in den Forderungen, die nationale Territorialautonomie wiederherzustellen und den Deutschen die gleichen Rechte wie anderen Völkern zu gewährleisten, als auch in Bestrebungen, nach Deutschland oder Kanada auszuwandern. Bis heute ist diese Hinterlassenschaft der sowjetischen Nationalitätenpolitik noch nicht hinreichend überwunden.


                                                                       




         


                                                                                                                                                                                                                                         Viktor Krieger 

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